Propaganda und Widerstand

Bildwissenschaften und Bildsoziologie und die ewigen Erhebungsprobleme

Alles ist Bild. Exemplarisch zur Frage der Rezeption des “Bildes” als vergangene Geschichte ausmachend. Ein Auszug aus dem Poesie-Album von Farangis, Eintrag von Kurt B.

Bildwissenschaften und Bildsoziologie und die ewigen Erhebungsprobleme

Ein Schlaglicht

Thema Bildwissenschaften und Bildersoziologie: […] Ich finde es unzureichend, wenn Bildbestände erhoben werden, die dokumentarisch eingefasst werden müssen, sollten Entstehungs- und Überlieferungszusammenhänge dann auch an ihre Stelle auf den entsprechenden Karten lokalisierbar gemacht werden können.

Bildwissenschaftliche Erschließungen, scheinen beinahe den im einfachsten Sinne empirisch angedachten Ansammlung von Daten ergebnistechnisch entgegenzulaufen. Und ich frage mich, wie das kommt.

Manche finden die bildwissenschaftliche Art der Herangehensweise an die NS-Geschichtsschreibung zu umständlich und gar „ausufernd“ und möchten weiterhin, das „Bild“ mehr oder weniger „Bild“ sein lassen. Für die Geschichtsanalyse ist aber genau die Erschließung des Mediums in voller Breite notwendig.

So ist zum Beispiel eine Auslassung von sozialen und politischen Faktoren als Hintergrund, und deren weiteren Implikationen als Makrokosmos, um selbst eine Alltagszene richtig dechiffrieren zu können, ein Versäumnis, das in einer bildwissenschaftlichen Analyse unzulässig wäre und der generelle Verweis auf große Geschichtsdaten reicht hier nicht aus um Kredibilität zu erlangen, weil überhaupt kein Erkenntnisgewinn zustande gekommen ist, außer des bloßen Umstandes, dass grobe Daten über ein Bild ein paar Ecken als Anhaltspunkte bieten.

Diese Auslassung kann vermieden werden indem

a.) im Vorab die Art der „politischen Deutungsweise“ [wie hat was funktioniert und warum hat es das] geklärt wird und damit inklusive die Punkte der Fokussierung. Auch muss offengelegt werden, was nicht geleistet werden kann in einer Erhebung sowie der Analyse,

b) der Blickpunkt aus der Zeit oder innerhalb der erfassten zu analysierenden Geschehnisse, muss in seiner Multiperspektivität erkennbar werden.

Eine lineare Geschichte mit einem festen und selbstverständlichen einzigen Blickwinkel kann man nicht voraussetzen, ohne Bezüge auf die beobachteten Perspektiven der betroffenen Akteure und Subjekte mit einzubeziehen. Eine Vogelperspektive muss transparent gemacht werden können, da Bildbeschreibung kein objektiver Prozess ist, sondern selbst geleitet ist durch Erkenntnisgrenzen. Die Bedeutung des Bildes in seiner eigenen soziologischen und sozialen Funktion darf also nicht als Faktor, der in die ganze Analyse hineinläuft, unterschätzt werden.

Ein Gegensatz ist augenfällig zwischen einer methodisch reflektierten, interdisziplinären Bildforschung, mit Bewusstsein für Kontext, Machtverhältnisse, Repräsentationslogiken und wiederum Forschungsprojekten bei denen eher eine die Sammlung ohne die nötigen weitreichenden bildanalytischen Kontextualisierungen im Vordergrund steht. Solche „Erfassungsprojekte“ operieren im Modus einer quantitativen Dokumentation, nicht der bildwissenschaftlichen Analyse.

Sie erheben Daten, ohne deren epistemischen Status zu klären, und laufen damit Gefahr, genau jene Distanz zu reproduzieren, die eine kritische Bildwissenschaft versucht zu überwinden anhand der Rekonstruktionsmöglichkeiten und der Schaffung von bildsoziologischen Kartographien. Gerade bei sensiblen Themen […] ist das fatal:

  • Es wird – ohne das man dies verhindern könnte – ein Archiv des Grauens angelegt, aber kein expliziertes Verständnis dafür, wie und warum diese Bilder entstanden sind, wessen „Blicke“ sie auf welche Weise kolportieren, welche Funktion sie (beabsichtigt/unbeabsichtigt, etc.) im Gewaltapparat hatten und welche sekundären Effekte (z. B. Re-Traumatisierung, Heroisierung, visuelle Machtkontinuität) sie heute entfalten.
  • Was als „wissenschaftliche Neutralität“ erscheint, ist oft nur die Auslagerung ethischer und politischer Verantwortung in eine vermeintlich objektive Dokumentationsform.

Meine Schwester hat genau aus solchen Gründen geforscht, wie man sich genau solcher Problematiken annehmen kann. Wir müssen uns radikal mit dieser Art von „Entleerung“ befassen. Das Foto als sozial-historisches Ereignis, nicht als Objekt, benötigt eine Menge an Kontext. Die Kontexte zu erfassen, die den Mikrokosmos mit dem Makrokosmos „im Bild“ und im eigenen Kontext des Mediums in Relation setzen, sind der Anfangspunkt, von dem aus wir (im Mindesten) denken können sollten.

Erfahrungsnarrative, Ideengeschichten, Erinnerungskulturen und Lesarten von Handlungen, solche Faktoren machen Bilder zu ziemlich komplizierten und überlagerten Zeitzeugen. Die Beschäftigung mit allem, was Sache ist, ist aber nicht „ausufernd“, wie manche wohl zu behaupten versucht sind, sondern intellektuell einfach ehrlicher.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert