Aus einer Rezension von Ingo Loose, Berlin
“Aus der in den letzten Jahren wachsenden Zahl der Publikationen zur Fotografiegeschichte des Nationalsozialismus ragt zweifellos Miriam Yegane Aranis Promotionsschrift »Fotografische Selbst- und Fremdbilder von Deutschen und Polen im Reichsgau Wartheland 1939–1945« heraus, und zwar nicht nur ihres Umfanges, sondern auch ihrer Verdienste wegen, für die die Autorin 2010 mit dem Prix de la Fondation Auschwitz in Brüssel ausgezeichnet worden ist. In vieljähriger Arbeit hat Arani insgesamt ein fotografisches Quellenmaterial recherchiert, das in seinem Umfang beeindruckt. In seinem Vorwort zu den Fotografien Joe J. Heydeckers aus dem Warschauer Getto konnte Heinrich Böll 1983 noch fragen: »Wo sind diese Augenzeugen, wo ihre Fotos? Werden sie möglicherweise beim Treffen ›alter Kameraden‹ heimlich und grinsend rumgereicht?« 4 Mittlerweile ist die Quellengrundlage und die Erschließung erhaltener Bestände sehr viel besser geworden, gleichwohl steht Aranis Untersuchung mit unzähligen reproduzierten Bildern praktisch einmalig dar.
Die leitende Fragestellung der Untersuchung lautet, wie fotografische Quellen aus der nationalsozialistischen Besatzungszeit in Polen »angemessen beschrieben, analysiert und interpretiert werden können« (Vorwort). Es geht hierbei um nicht weniger als eine komplette Bestandsaufnahme der fotografischen Quellen des bevölkerungspolitischen Experimentierfeldes der Nationalsozialisten im besetzten Westpolen.5 Für die allgemeine Besatzungspolitik im Reichsgau Wartheland liegt in der Forschung eine gute faktografische Grundlage als Ausgangspunkt vor.
Das von Arani präsentierte Panorama ist vor diesem Hintergrund umso eindrucksvoller, als sie für ein klar umrissenes Terrain erstmals sowohl eine Interpretationstheorie bzw. -methodik der Fotografien vorstellt – von der Echtheitsprüfung und detaillierten Quellenkritik bis hin zu ihrer sozialwissenschaftlichen Auswertung als Quellen einer »visuellen Kommunikation zweier Gesellschaften im Konflikt« – als auch konkrete (und überaus ausführliche) Anwendungsfelder aufzeigt. Dies reicht von der nationalsozialistischen Pressepropaganda in Bezug auf den sogenannten »Bromberger Blutsonntag«1939, weiteren Polizeibildern, Fotografien zahlreicher anderer deutscher Dienststellen, der Inszenierung von Gauleiter Greiser über private Aufnahmen der Polen, denen seit 1941 der Besitz von Kameras untersagt war, bis hin zu Fotografien der polnischen Widerstandsbewegung.”
> Auszug aus einer Rezension von Ingo Loose über Miriams Dissertationsschrift, in: Einsicht 05, Bulletin der Fritz Bauer Instituts, Frühjahr 2011, S. 98-99.
Kommentar zu dieser Rezension: Ich finde, dass gerade der Aufbau der Arbeit, der hier als teilweise nicht “glücklich” beschrieben wird, einen Sinn in der Darstellung der Thematik hat. Es werden verschiedene Räume des Geschehens im Buch beschritten, ähnlich wie in einer visuellen Ausstellung wird nicht alles allein über die Sprachebene verbunden, sondern Teilaskepte binden sich über den gedachten Zusammenhang. Wichtig ist nämlich zu berücksichtigen, dass Miriam nicht von der Geschichte, sondern von der Kunstpädagogik her an das Thema heran tritt. Ihr Anliegen ist auch die Vermittlung eines Themas an die allgemeine Rezipientin/den allgemeinen Rezipienten und nicht allein die Wissensergänzung unter Historikern. In der Rezension bleibt die besondere Behandlung des Themas ‘NS-/Rassismus’ in Miriams Arbeit eher unbeachtet.